Virtuelle und hybride Generalversammlung
Im Rahmen der Aktienrechtsrevision 2020 wurde die Grundlage für die Durchführung von Generalversammlungen (GV) in digitaler Form mit elektronischen Mitteln geschaffen. Zur klassischen, an einem Tagungsort und unter physischer Anwesenheit stattfindenden Versammlung, treten neu die sogenannte hybride sowie die virtuelle GV.Autor: lic. iur. Urs FreytagDefinition und Hintergrund
Der virtuellen GV ist eigen, dass kein physischer Tagungsort besteht, folglich auch keine physische Zusammenkunft stattfindet. Die Versammlung findet ausschliesslich im virtuellen Raum mit elektronischen Hilfsmitteln statt. Diese neue Möglichkeit wurde in erster Linie getrieben durch den technologischen Fortschritt im Bereich der modernen elektronischen Kommunikationsmittel über das Internet, wie namentlich die Möglichkeit der Videokonferenz, sowie durch die Internationalisierung bzw. Globalisierung des Aktionariats.
Mit der Einführung der virtuellen GV verfolgte der Gesetzgeber u.a. das Ziel, die aktive Beteiligung der Aktionäre an der GV zu fördern, den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verwirklichen, die Legitimation der Beschlüsse zu fördern und die Qualität der Willensbildung zu verbessern. Weiter sollte die Verwendung elektronischer Mittel durch die Schaffung klarer gesetzlicher Rahmenbedingungen gezielt gefördert werden, nicht zuletzt mit dem Ziel, Kosten zu verringern.
Nicht in direktem Zusammenhang steht die Einführung der virtuellen GV hingegen mit der COVID-Pandemie - der Bundesrat erliess die Botschaft zur Aktienrechtsrevision bereits im Jahr 2016, wenngleich die Pandemie den neuen Möglichkeiten in der Praxis "unfreiwillig" zum Durchbruch verholfen hat
Bei der hybriden GV wird weiterhin die physische Anwesenheit des Vorsitzenden an einem Tagungsort verlangt, während die nicht am Tagungsort anwesenden Aktionäre ihre Rechte ortsungebunden auf elektronische Weise ausüben dürfen. Bei der ausschliesslich virtuellen GV findet diese gänzlich im virtuellen Raum statt, d.h. es existiert im Unterschied zur klassischen und zur hybriden GV kein Tagungsort, die Teilnehmer nehmen ihre Rechte ausschliesslich mit elektronischen Mitteln (über das Internet) wahr. Sowohl der Vorsitzende als auch die Aktionäre können sich an einem beliebigen Ort befinden.
Formelle Voraussetzungen
Statutarische Grundlage
Die virtuelle GV ist nur zulässig, wenn sie in den Gesellschaftsstatuten ausdrücklich vorgesehen ist (Art. 701d Abs. 1 OR). Eine entsprechende Grundlage muss im Rahmen einer physischen oder hybriden GV zunächst geschaffen werden, bevor erstmals eine virtuelle GV rechtmässig durchgeführt werden kann. Ein spezielles Quorum für die Einführung dieser Bestimmung wird nicht verlangt, es genügt das einfache Mehr, die Beschlussfassung richtet sich nach Art. 703 Abs. 1 OR.
Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters (bzw. Verzicht)
Der VR hat gestützt auf Art. 701d Abs. 1 OR in der Einberufung zur GV einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen. Der unabhängige Stimmrechtsvertreter garantiert, dass Aktionärinnen und Aktionäre, die nicht über die nötigen technischen Mittel oder das entsprechende Knowhow über die elektronischen Kanäle verfügen und somit nicht unmittelbar an der Diskussion in der GV teilnehmen können, zumindest ihr Stimmrecht ausüben können
Einberufungsvorschriften
Die Kompetenz zur Einberufung einer GV liegt unabhängig von deren Form beim VR (Art. 626 Ziff. 7 OR), nötigenfalls bei der Revisionsstelle (Art. 699 Abs. 1 OR). Die in Art. 700 OR enthaltenen Einberufungsvorschriften gelten, vom Tagungsort abgesehen, gleichermassen für alle Formen der GV. Der VR hat neben dem Datum und dem Beginn (Uhrzeit) neu auch auf die Art und den Ort hinzuweisen (Art. 700 Abs. 2 Ziff. 1 OR). Nachdem die virtuelle GV ohne Tagungsort stattfindet, ist in der Einladung darauf hinzuweisen, dass es sich in Bezug auf die Art der Versammlung um eine virtuelle ohne Tagungsort handelt, zusammen mit den sachdienlichen Hinweisen, wie die Teilnahme auf elektronische Weise zu erfolgen ha
Regelung der elektronischen Mittel durch den VR
Unter die formellen Voraussetzungen einer virtuellen GV fällt ausserdem die Pflicht des VR, den Einsatz der elektronischen Mittel zu regeln (Art. 701e Abs. 1 OR). Diese Kompetenzzuweisung ist laut der Botschaft dispositiver Natur, d.h. es bleibt der GV unbenommen, in den Statuten konkrete Vorgaben zu den elektronischen Mitteln zu machen, an welche sich der VR bei der Vorbereitung der Versammlung zu halten hätte. Ist dies nicht der Fall, liegt die Regelung in der alleinigen Kompetenz des VR.
Antrags- und Diskussionsrecht
Die virtuelle GV muss einen unmittelbaren Meinungsaustausch zwischen den Versammlungsteilnehmern in Form einer Diskussion in Echtzeit zulassen (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 3 OR). Nur dann ist die Funktion der GV als Ort des gegenseitigen Informations- und Meinungsaustausches sowie der Willensbildung gewahrt. Der VR hat dieses Erfordernis bei der Wahl der technischen Mittel zwingend zu berücksichtigen.
Gewährleistung eines unverfälschten Abstimmungsergebnisses
Unbesehen von der Form der GV ist die Gewährleistung eines unverfälschten Abstimmungsergebnisses ein zentraler Grundsatz. Der VR hat zum einen dafür zu sorgen, dass keine unbefugten Personen an der GV mitwirken. Zum anderen hat er sicherzustellen, dass das Abstimmungsergebnis korrekt, d.h. unverfälscht, ermittelt werden kann (Art. 701e Abs. 2 Ziff. 4 OR). Das Aktionariat einen unverzichtbaren Anspruch darauf, dass Abstimmungen und Wahlen zu traktandierten Geschäften formell sauber durchgeführt werden. Dabei geht es nicht um die inhaltliche Richtigkeit, sondern um das Zustandekommen des Ergebnisses. D.h. Stimmen dürfen nicht von unbefugten Personen stammen, und die berechtigten Stimmen müssen korrekt gezählt werden, d.h. es dürfen bspw. keine Stimmen nicht oder mehrfach gezählt werden.
Wahl und Ausgestaltung der technischen Hilfsmittel
Damit eine digitale GV gesetzeskonform über die Bühne geht, ist die Stabilität, Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit der eingesetzten Hilfsmittel von elementarer Bedeutung. Für die technische Infrastruktur ist der VR verantwortlich. Die vier vorstehend genannten Voraussetzungen aus Art. 701e OR wurden vom Gesetzgeber bewusst nicht detaillierter geregelt, sondern technologieneutral ausgestaltet, um den technologischen Fortschritt nicht zu erschweren oder zu verunmöglichen. Dem VR wird dadurch auch die Pflicht auferlegt, die technischen Entwicklungen zu beobachten und bei Bedarf die elektronischen Mittel anzupassen.