Scheidungsvorausvereinbarungen – was ist möglich, was nicht?
Viele Eheleute überlegen sich, die Folgen einer allfälligen späteren Scheidung der von ihnen geschlossenen oder in Kürze bevorstehenden Ehe bereits vertraglich zu regeln. Wenn die Ehe – überspitzt formuliert – als Vertrag mit zweijähriger Kündigungsklausel verstanden wird, was liegt näher, als schon frühzeitig die Folgen ebendieser Kündigung vertraglich zu regeln? Die Gerichtspraxis setzt solchen Scheidungsvorausvereinbarungen jedoch Grenzen.Autor: lic. iur. Boris ZüstA) Verträge zwischen Ehegatten
Grundsätzlich sind Ehegatten als handlungsfähige Personen frei, Verträge untereinander abschliessen (Art. 12 und Art. 168 ZGB), wobei es beim Vertragsschluss die üblichen Grenzen der Rechtsordnung zu beachten gilt (Übervorteilung, Sittenwidrigkeit, usw.).
Aus diesem Grundsatz folgt, dass Ehegatten untereinander auch Verträge über die Scheidungsfolgen abschliessen können. Bekanntlich schliessen Ehegatten bei der Ehescheidung meist eine umfassende Vereinbarung über die Scheidungsfolgen ab, wobei diese Vereinbarung immer unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch das Gericht steht (Art. 279 Abs. 2 ZPO).
Das Bundesgericht hat sich in einem neueren Leitentscheid (BGE 145 III 477) damit befasst, inwieweit eine solche Vereinbarung über die Scheidungsfolgen bereits frühzeitig und noch ohne eigentlichen Scheidungshorizont (Scheidungsvorausvereinbarung) gültig abgeschlossen werden kann.
B) Eheverträge, Scheidungsvoraus-vereinbarungen, Scheidungskonvention
Die Scheidungsvorausvereinbarung ist von zwei im Gesetz geregelten Verträgen zwischen Ehegatten abzugrenzen: Dem Ehevertrag (Art. 182 ff. ZGB) und der Scheidungsvereinbarung (Art. 111 f. ZGB; Art. 279 ZPO), in der Praxis häufig Scheidungskonvention genannt.
Scheidungskonventionen werden von den Ehegatten dem Gericht eingereicht, wobei man zwischen Vereinbarungen mit vollständiger Einigung über alle Scheidungsfolgen oder solchen mit bloss teilweiser Einigung unterscheidet (Art. 111 bzw. Art. 112 ZGB). Im Gegensatz zur eigentlichen Scheidungskonvention handelt es sich bei der Scheidungsvorausvereinbarung um eine vertragliche Regelung von Scheidungsfolgen, die noch ohne konkreten Scheidungshorizont erfolgt. Bei der Scheidungsvorausvereinbarung fehlt also noch der eigentliche Scheidungswille.
Eheverträge bezwecken eine Veränderung beim ehelichen Güterrecht, indem etwa statt des gesetzlichen Güterstands der Errungenschaftsbeteiligung die Gütertrennung gewählt wird. Eheverträge müssen in der Schweiz zwingend öffentlich beurkundet werden (Art. 184 ZGB). Im Gegensatz dazu sind Vorausvereinbarungen formlos gültig und nicht auf das Güterrecht beschränkt. Da die Scheidung regelmässig auch die güterrechtliche Auseinandersetzung umfasst und für das Abweichen vom gesetzlichen Güterstand die öffentliche Beurkundung zwingend vorgeschrieben ist, dürfte für Scheidungsvorausvereinbarungen in der Praxis meist die Formvorschrift der öffentlichen Beurkundung gewählt werden.
C) Gültigkeit von Scheidungsvorausvereinbarungen: «Drum prüfe wer sich bindet»
Dem Entscheid BGE 145 III 477 lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die Ehegatten hatten einen Tag vor der Hochzeit vor einem Notar einen öffentlich beurkundeten Ehevertrag abgeschlossen, in dem neben der Gütertrennung auch eine Vertragsklausel für den Fall der Ehescheidung aufgenommen worden war. Gemäss dieser hatte sich der deutlich finanzkräftigere Ehemann zu nachehelichem Unterhalt in der Höhe von monatlich CHF 20’000.00 verpflichtet. Nach Scheitern der kinderlos gebliebenen Ehe stellte sich die Ehefrau auf den Standpunkt, dass die Scheidungsvorausvereinbarung gültig abgeschlossen sei und damit auch die vertragliche Pflicht zur Leistung von nachehelichem Unterhalt bestehe. Beide Vorinstanzen verneinten die Gültigkeit der Vorausvereinbarung.
Das Bundesgericht erinnert in BGE 145 III 477 daran, dass im Falle einseitiger Scheidungsklagen Vorausvereinbarungen bereits bisher als gültig erachtet werden. Diejenige Partei, die sich nicht mehr an die Vorausvereinbarung gehalten sehen wolle, müsse beim Gericht deren Nichtgenehmigung beantragen. Darüber hinaus seien Scheidungsvorausvereinbarungen allerdings laut der in der Lehre kontrovers diskutierten Auffassung unabhängig von der Art der Einleitung des Scheidungsverfahrens (Scheidungsvereinbarung oder Scheidungsklage) allgemein gültig und vom Gericht zu beachten, womit den Ehegatten jeweils nur noch die Option offensteht, die Nichtgenehmigung der gültig abgeschlossenen Vorausvereinbarung zu beantragen.
Da die Genehmigungsfähigkeit der Vorausvereinbarung gar nicht hinreichend geprüft worden war, wies das Bundesgericht den Fall an die Vorinstanz zurück. Dieses Ergebnis ist umso bemerkenswerter, als das Bundesgericht in den nicht amtlich publizierten Erwägungen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zusprechung für nachehelichen Unterhalt (Art. 125 ZGB) – wie die beiden Vorinstanzen vor ihr – als Folge der kurzen Ehedauer und der Kinderlosigkeit im konkreten Fall verneinte (Bger. 5A_778/2018, E. 4.4).
D) Verhandeln auf Augenhöhe zwischen Ehegatten?
Das Bundesgericht stärkt mit diesem Entscheid die Vertragsautonomie der Ehegatten und hält fest, dass Scheidungsvorausvereinbarungen nicht ohne weiteres ungültig sein müssen.
Es wäre indes weltfremd zu meinen, dass sämtliche Ehegatten jeweils in der Lage seien, auf Augenhöhe über die Folgen der von ihnen geschlossenen oder zu schliessenden Ehe zu verhandeln und gestützt auf diese Verhandlungen Verträge abzuschliessen, welche den unterschiedlich gelagerten Interessen beider Ehegatten gerecht würden. Häufig stehen Abhängigkeiten wirtschaftlicher, emotionaler, sozialer oder migrationsrechtlicher Natur einer Vertragsausgestaltung auf Augenhöhe entgegen. Zudem können sich im Verlauf der gelebten Ehe erhebliche Veränderungen in der Erwerbsbiografie ergeben, welche die seinerzeit geschlossene und damals ausgewogene Vorausvereinbarung nachträglich als unangemessen erscheinen lassen.
Allerdings wäre es auch nicht zutreffend, Scheidungsvorausvereinbarungen von vornherein als einseitig eine Partei benachteiligende Vereinbarungen anzusehen, die nur aus einer gewissen Naivität bzw. Abhängigkeit heraus abgeschlossen werden, ohne dass sich die Ehegatten den Konsequenzen eines solchen Vertragsschlusses bewusst wären. Eine frühzeitige und insbesondere nach umfassender rechtlicher Beratung abgeschlossene Vorausvereinbarung kann nämlich besser durchgedacht sein als eine gerichtlich genehmigte Scheidungsvereinbarung. Es entspricht nämlich (leider) häufig der Realität, dass Ehegatten in der emotional aufgeladenen und für sie belastenden Situation nach der Trennung ihre eigenen Interessen und damit die Folgen eines Abschlusses einer umfassenden Scheidungsvereinbarung vor Gericht nicht richtig abzuschätzen vermögen. Es ist aus diesem Grund zu begrüssen, dass Vorausvereinbarungen grundsätzlich gültig abgeschlossen werden können.
E) Die Crux mit der gerichtlichen Genehmigung: Die Abklärungspflicht des Gerichts
Die Gültigkeit einer Vorausvereinbarung hat jedoch nicht ohne weiteres zur Folge, dass diese vom Gericht übernommen werden müsste. Das Gericht spricht die Scheidung gestützt auf eine Vereinbarung der Ehegatten (egal ob als Scheidungsvereinbarung oder als Scheidungsvorausvereinbarung) nur dann aus, wenn diese «aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung geschlossen worden ist» und die Vereinbarung «klar, vollständig und nicht offensichtlich unangemessen ist» (Art. 279 ZPO). Scheidungsvereinbarungen und Vorausvereinbarungen stehen somit immer unter dem Vorbehalt einer Inhalts- und Fairnesskontrolle durch das Gericht.
Laut Bundesgericht ist eine Vereinbarung über die Scheidungsfolgen offensichtlich unangemessen, wenn «sie in sofort erkennbarer und eklatanter Art und Weise von der gesetzlichen Regelung abweicht und sich diese Abweichung aus Billigkeitsüberlegungen nicht rechtfertigen lässt» (Bger. 5A_980/2018, E. 4.1). Dahinter steht also immer eine Wertung. Je mehr sich die wirtschaftliche Situation zwischen Vertragsabschluss und Ehescheidung verändert hat und umso stärker die Vorausvereinbarung von der gesetzlichen Regelung der Scheidungsfolgen abweicht, desto eher dürfte das Gericht einer Vorausvereinbarung wegen offensichtlicher Unangemessenheit die Genehmigung verweigern.
Das Gericht ist gehalten, die Hintergründe des Vertragsabschlusses einer Scheidungsvorausvereinbarung in Erfahrung zu bringen. Zudem wird dem Gericht verstärkt auch die Pflicht auferlegt, die wirtschaftliche Situation bei Vertragsabschluss mit derjenigen bei Ehescheidung zu vergleichen. Erst wenn sich nach Klärung dieser Fragen abzeichnet, dass die nach reiflicher Überlegung geschlossene Vorausvereinbarung inhaltlich nicht offensichtlich unangemessen und vollständig ist, wird das Gericht sie genehmigen. Selbstverständlich stehen die Parteien in der Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuarbeiten, ansonsten sie die Folgen der Beweislosigkeit nach den üblichen Beweisregeln zu tragen haben.
F) Inhaltliche Grenzen von Scheidungs-vorausvereinbarungen
Nicht nur die gerichtliche Genehmigung setzt einer Scheidungsvorausvereinbarung Grenzen. Ganz allgemein sind bestimmte Scheidungsfolgen der freien Vertragsausgestaltung teilweise oder weitgehend entzogen.
Vorab schliesst der das Kindesrecht beherrschende Grundsatz des Kindeswohls Vorausvereinbarungen in Bezug auf die Kinderbelange weitgehend aus. Die Gerichte sind zur Wahrung des Kindeswohls gehalten, den Sachverhalt von sich aus abzuklären (Untersuchungsgrundsatz) und bei der Regelung von Kinderbelangen selbst an übereinstimmende Parteianträge nicht gebunden (Offizialmaxime). Diese Begrenzung der Vertragsautonomie gilt auch für den Kindesunterhalt (Bger. 5A_169/2012, E. 3.3).
Mit der Gesetzesrevision im Jahr 2017 kam es zu einer Verschiebung von Teilen des nachehelichen Unterhalts des hauptbetreuenden Elternteils in den Kindesunterhalt (BGE 144 III 377). Mit diesem sogenannten Betreuungsunterhalt sind der Kindesunterhalt und der Unterhalt des hauptbetreuenden Ehegatten wirtschaftlich und rechtlich so miteinander verknüpft, dass sich die Zulässigkeit von Vorausvereinbarungen wegen der Offizialmaxime im Kindesrecht in engen Grenzen halten dürfte. Falls die Vertrags- der Familienplanung zeitlich vorausgegangen sein sollte, dürfte zudem wegen der in der Zwischenzeit eingetretenen Veränderungen bei der Kinderbetreuung wohl nur in sehr eingeschränkten Konstellationen eine gerichtliche Genehmigung überhaupt in Frage kommen.
Beim Vorsorgeausgleich der zweiten Säule (BVG) schränkt der Gesetzgeber, im Gegensatz etwa zur Rechtslage in Deutschland, die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten der Ehegatten bei der Teilung der während der Ehe erworbenen Guthaben der beruflichen Vorsorge ebenfalls deutlich ein. Immerhin sind hier Abweichungen denkbar, falls aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der Vorsorgebedürfnisse die Altersvorsorge der Ehegatten anderweitig gewährleistet ist bzw. eine faire Gesamtlösung erzielt werden kann.
Damit beschränkt sich der Regelungsbereich von Scheidungsvorausvereinbarung in der Praxis weitgehend auf die rein finanziellen und von der Vertragsautonomie zwischen den Ehegatten umfassten Teilbereiche des nachehelichen Unterhalts, allenfalls ergänzt durch Anpassungen beim Güterrecht und gewissen Anpassungen beim Vorsorgeausgleich.