Pflicht zur Klassifizierung einer Zufahrt über ein Drittgrundstück mit Feinerschliessungsfunktion

Das Bau- und Umweltdepartement St. Gallen hat kürzlich in einem Entscheid (BUDE 2023 Nr. 88) die bisherige Praxis in Bezug auf die Hauszufahrten um 180 Grad gekehrt. Dabei wurde neu festgehalten, dass eine Zufahrt, welche zwecks Erschliessung eines Grundstücks zweiter Bautiefe mit mindestens einer Wohneinheit über ein Drittgrundstück führt, als Feinerschliessungsanlage gilt.Autor: MLaw utr. Andreas Mattle
Pflicht zur Klassifizierung einer Zufahrt über ein Drittgrundstück mit Feinerschliessungsfunktion

Das Bau- und Umweltdepartement St. Gallen hat kürzlich in einem Entscheid (BUDE 2023 Nr. 88) die bisherige Praxis in Bezug auf die Hauszufahrten um 180 Grad gekehrt. Dabei wurde neu festgehalten, dass eine Zufahrt, welche zwecks Erschliessung eines Grundstücks zweiter Bautiefe mit mindestens einer Wohneinheit über ein Drittgrundstück führt, als Feinerschliessungsanlage gilt.

Im Kanton St. Gallen muss eine Feinerschliessungsanlage rechtlich sichergestellt werden. Dabei reicht neu eine rein privatrechtliche Sicherstellung (z.B. als Anmerkung im Grundbuch) nicht mehr aus. Vielmehr muss eine Klassierung (Öffentlicherklärung) der Zufahrt zumindest als Gemeindestrasse 3. Klasse erfolgen.

Was galt bisher?

Damit ein Grundstück als «Baureif» gilt und überbaut werden darf, muss es hinreichend erschlossen sein. Dies bedeutet, dass unter anderem eine hinreichende Zu- und Wegfahrt bestehen muss. Bis anhin zählten Hauszugänge und Hauszufahrten auf dem eigenen Baugrundstück nicht zu der Feinerschliessung und wurden meistens privatrechtlich mittels Fuss- und Fahrwegrecht geregelt (GVP 2011 Nr. 21). Damit eine hinreichende Zu- und Wegfahrt gegeben ist, musste die Strasse daher bis anhin nicht klassiert, resp. der Öffentlichkeit gewidmet werden. Vielmehr galt das Grundstück auch ohne Klassierung als hinreichend erschlossen.

Klassierung der Strasse; Was bedeutet das?

Neu muss eine Klassierung der Zufahrt zumindest als Gemeindestrasse 3. Klasse erfolgen.

Dies tönt etwas speziell. Es ist aber so, dass die Gemeindestrassen nach der geplanten Zweckbestimmung in verschiedene Klassen eingeteilt werden: Für den örtlichen und überörtlichen Verkehr sind Gemeindestrassen erster Klasse vorgesehen. Diese stehen dem allgemeinen Motorfahrzeugverkehr offen. Gemeindestrassen zweiter Klasse dienen der Groberschliessung des Baugebiets. Sie stehen dem allgemeinen Motorfahrzeugverkehr regelmässig offen. Gemeindestrassen dritter Klasse dienen dagegen der übrigen untergeordneten Erschliessung sowie der Land- und Forstwirtschaft. Sie stehen dem allgemeinen Motorfahrzeugverkehr nicht offen. Gemeindestrassen dritter Klasse sind die niedrigste Kategorie öffentlicher Strassen und eine Auffangklasse. Alle öffentlichen Strassen, die nicht zwingend einer höheren Klasse zuzuordnen sind, gehören folglich zu den Gemeindestrassen dritter Klasse; sie dienen der Feinerschliessung.

Was muss neu beachtet werden?

Das ganze tönt etwas kompliziert, ist aber für sämtliche Renovation, Neu- und Umbauarbeiten an diversen Liegenschaften sehr relevant, da eventuell die Zufahrt zuerst Klassiert werden muss. Welche Zufahrten darunter fallen und was die Folgen sind, wird nachfolgend genauer dargelegt:

Voraussetzungen:

 1. Es muss eine Zufahrt ab einer Kantons- und/oder Gemeindestrasse bestehen

 2. Die Zufahrt muss zu einem Grundstück zweiter Bautiefe führen.

 3. Die Zufahrt muss zu einem Grundstück mit mindestens einer Wohnungseinheit führen

 4. Die Zufahrt zum Grundstück muss über ein Drittgrundstück führen

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird die Zufahrt als «Feinerschliessungsanlage» betrachtet. Dies trägt die Folge mit sich, dass die Strasse zumindest als Gemeindestrasse dritter Klasse zwingend öffentlich erklärt werden muss. Für diese Öffentlicherklärung ist die Gemeinde zuständig. Man muss daher einen Antrag an die Gemeinde stellen. Der Entscheid über die Klassierung liegt im Ermessen der Gemeinde. Sie prüft ob ein schutzwürdiges Interesse an der Öffentlicherklärung der Zufahrt besteht. Wird dies von der Gemeinde bejaht, so wird die Zufahrt der Öffentlichkeit gewidmet und die Gemeinde passt den Gemeindestrassenplan dementsprechend an.

Was passiert, wenn die Zufahrt noch nicht klassiert ist und man trotzdem die Liegenschaft auf dem Grundstück umbauen möchte?

Das Grundstück gilt dann als nicht hinreichend erschlossen. Dies ist relevant, wenn man für den Umbau oder die Renovation oder sogar den Neubau, eine Baubewilligung benötigt. Eine solche kann nämlich abgewiesen werden mit Hinweis darauf, dass das Baugrundstück nicht hinreichend erschlossen ist. Bevor man eine Baubewilligung beantragt ist es deshalb wichtig im Strassenplan nachzuschauen, ob die Zufahrt bereits Klassiert ist. Ansonsten ist es ratsam, eine Öffentlicherklärung der Zufahrt bei der Gemeinde zu verlangen.

 

MLaw et utr. iur. Andreas Mattle in Zusammenarbeit mit M.A. HSG Nina Ramsauer

 

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