Inkrafttreten des revidierten internationalen Erbrechts (Art. 86 - 96 IPRG) per 1. Januar 2025 – die wichtigsten Änderungen im Überblick
Die neuen Bestimmungen für internationale Erbangelegenheiten ermöglichen mehr Flexibilität und sorgen für weniger Zuständigkeitskonflikte.Autor: M.A. HSG in Law and Economics Evelyne Hunziker![Inkrafttreten des revidierten internationalen Erbrechts (Art. 86 - 96 IPRG) per 1. Januar 2025 – die wichtigsten Änderungen im Überblick](/documents/expertise/landscape/800_istock-1018266260.jpg)
2023 lebten 813’400 Schweizer im Ausland und 2’417'300 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Schweiz. Neben dem Auseinanderfallen von Wohnsitz und Staatsangehörigkeit führen bspw. auch mehrere Aufenthaltsorte oder ein Ferienhaus im Ausland zu Berührungspunkten mit unterschiedlichen Rechtsordnungen. Stirbt bspw. ein Schweizer Staatsangehöriger mit einem Ferienhaus in Italien an seinem Wohnsitz in Österreich, liegt eine typische internationale Erbschaftsangelegenheit vor. Aufgrund der Lebensumstände stellt sich in einem solchen Fall die Frage, welche Gerichte welchen Staates für die Nachlassabwicklung zuständig sind und nach welchem Recht das Erbe auf- bzw. verteilt wird.
Auf diese Frage gibt das jeweilige lokale internationale Privatrecht (sog. «Kollisionsrecht») Antwort. Da die seit 2015 geltende europäischen Erbrechtsverordnung (nachfolgend «EuErbVO») universell Anwendung findet, wirkt sie sich auch auf Nachlässe in der Schweiz mit Berührungspunkten zur EU aus, obwohl die Schweiz selbst nicht unmittelbar an die EuErbVO gebunden ist. Infolgedessen drängte sich nach Inkrafttreten der EuErbVO die Frage auf, ob das 6. Kapitel des internationalen Privatrechts der Schweiz (nachfolgend «IPRG») noch einen adäquaten Rechtsrahmen für die zunehmende «Internationalisierung» von Erbschaftsangelegenheiten bildete. So nahm die aktuelle Revision ihren Anfang, in deren Rahmen das IPRG nun teilweise mit der EuErbVO harmonisiert wurde, um insbesondere positive Kompetenzkonflikte (d.h. wenn mehrere Behörden in unterschiedlichen Staaten sich als zuständig erachten) vermeiden zu können. Die neuen Bestimmungen sind am 01.01.2025 in Kraft getreten. Dabei wurden u.a. die folgenden Punkte angepasst.
1. Einführung einer einseitigen Zuständigkeitsbestimmung (Art. 88b IPRG)
Bis anhin stand es Schweizer Erblassern mit letztem Wohnsitz im Ausland offen, ihren Nachlass durch letztwillige Verfügung der Zuständigkeit der Behörden ihres schweizerischen Heimatortes zu unterstellen. So konnte bspw. ein Schweizer mit Wohnsitz in Österreich durch ein Testament seinen Nachlass unter die Zuständigkeit der Behörden an seinem Heimatort unterstellen. Seit 1. Januar 2025 können nun auch ausländische Staatsangehörige mit letztem Wohnsitz in der Schweiz eine Zuständigkeitsbestimmung zu Gunsten der Behörden ihres Heimatstaates vorsehen bzw. die Zuständigkeit von Schweizer Behörden abbedingen. Diese Bestimmung trägt insbesondere zur Verhinderung positiver Kompetenzkonflikte mit ausländischen Behörden bei, wenn ein ausländischer Staatsangehöriger über Vermögenswerte in seinem EU-Heimatstaat verfügt.
2. Subsidiäre Zuständigkeiten von Schweizer Behörden (Art. 87 und 88 IRPG)
Den Schweizer Behörden wird in Bezug auf ihre subsidiären Zuständigkeiten neu die Möglichkeit eingeräumt, bei konkreter Gefahr von positiven Kompetenzkonflikten ihre Zuständigkeit von zusätzlichen Bedingungen abhängig zu machen. Eine solche Bedingung könnte bspw. darin liegen, dass die Behörden des Heimatstaates oder des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes und allenfalls diejenigen am Ort der Belegenheit des Nachlassvermögens untätig bleiben. Diese Möglichkeit ist insbesondere im Verhältnis zu den EU-Staaten nützlich, wenn ein Schweizer mit letztem Wohnsitz in einem EU-Mitgliedsstaat dort Vermögen hinterlässt und sich jene Behörden für zuständig befinden.
3. Stärkung der Rechtswahl (Art. 91 IPRG)
Unter altem Recht war es nur ausländischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in der Schweiz möglich, die eigene Rechtsnachfolge dem Heimatrecht zu unterstellen. Die Beziehung zur schweizerischen Rechtsordnung wurde bisher als ausschlaggebend betrachtet, so dass auch der Besitz von anderen Staatsbürgerschaften eine Rechtswahl zugunsten eines anderen Heimatrechts Schweizer Staatsangehörigen mit Wohnsitz in der Schweiz nicht zur Verfügung stand. Dies führte bspw. dazu, dass auch eine eigentlich wirksam getroffene Rechtswahl unwirksam wurde, sofern der Erblasser zum Todeszeitpunkt die schweizerische Staatsbürgerschaft besass, was Unsicherheiten in Bezug auf die Nachlassplanung verursachte. Mit der Revision steht es neu allen Personen, welche in der Schweiz wohnhaft sind, trotz allfälliger Schweizer Staatsangehörigkeit frei, ihren Nachlass dem Recht eines ihrer Heimatstaaten zu unterstellen. Schweizer Doppel- und Mehrfachbürger können damit eine Rechtswahl zugunsten eines ihrer ausländischen Heimatstaaten treffen. Schweizer Staatsangehörige können jedoch die Bestimmungen des schweizerischen Rechts über die Verfügungsfreiheit (Pflichtteilsrecht) nicht abbedingen. Dies bedeutet, dass das Pflichtteilsrecht unabhängig von der Rechtswahl weiterhin gilt und ggf. zu einer Teilrechtswahl führen kann.
Grundsätzlich begründet eine Rechtswahl eines Schweizer Staatsagehörigen mit letztem Wohnsitz im Ausland zugunsten des Schweizer Rechts «automatisch» eine Zuständigkeitswahl zugunsten von Schweizer Behörden. Neu kann ein Erblasser die ausländische Zuständigkeit aber auch explizit vorbehalten. Neu ist weiter, dass die Unterstellung des Nachlasses unter Schweizer Zuständigkeit ohne gegenteilige Anordnung gleichzeitig als Unterstellung unter Schweizer Recht gilt. Dieser Mechanismus dient einem «automatischen» Gleichauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht, was in den meisten Fällen auch so vom Erblasser beabsichtigt sein dürfte. Die verfügende Person kann jedoch diese gesetzliche Vermutung umstossen und festlegen, dass die Zuständigkeitsbestimmung nicht auch als Rechtswahl zu Gunsten der Schweizer Rechtsordnung zu verstehen ist. Damit die entsprechende Rechtwahl eines Erblassers bzw. einer Erblasserin zu Gunsten des Heimatrechts wirksam ist, muss die entsprechende Staatsangehörigkeit im Verfügungszeitpunkt oder im Zeitpunkt des Todes gegeben sein.
4. Ausweitung der Anerkennungstatbestände (Art. 96 IPRG)
In Bezug auf internationale Sachverhalte stellt sich jeweils die Frage, ob von ausländischen Behörden gefällte Entscheidungen, Massnahmen oder erlassene Urkunden, die einen Nachlass betreffen, grundsätzlich auch für die Schweiz gelten. Im Zuge der Revision wurden diese Anerkennungsvoraussetzungen angepasst, insbesondere mit dem Ziel, in gewissen Fällen die Anerkennung von auf Basis der EuErbVO ergangenen Urteilen sicherzustellen.