Fehlende zivilrechtliche Sanktionsmöglichkeit beim Wegbringen von Kleinkindern
Sachverhalt
In einer «Nacht-undNebel»-Aktion zog die Mutter mit ihren beiden Kindern (vier und fünf Jahre alt) aus der ehelichen Wohnung im Kanton Aargau aus und verlegte ihren Wohnsitz nach Bellinzona. Der Vater wollte diese Verunmöglichung des persönlichen Verkehrs mit seinen Kindern nicht dulden. Der Fall endete vor Gericht.
Prozessgeschichte
Im Eheschutzverfahren schützte das erstinstanzliche Gericht das Verhalten der Mutter nicht. Es wies die Mutter vielmehr an, den Wohnsitz wieder in den Umkreis von eineinhalb Stunden Fahrzeit mit dem öffentlichen Verkehr (gerechnet ab dem früheren Wohnort) zu verlegen. Damit wäre dem Vater der persönliche Verkehr mit seinen Kindern wieder leichter möglich gewesen. Gegen den erstinstanzlichen Entscheid wehrte sich die Mutter im Berufungsverfahren vor der zweiten Instanz erfolgreich: Die gerichtliche Weisung wurde vom Obergericht ersatzlos aufgehoben. Obendrauf kürzte das Obergericht das Ferienrecht des Vaters von vier auf zwei Wochen pro Jahr. Der Vater zog das Urteil weiter an das höchste Gericht.
Urteil des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass mit dem heimlichen Umzug das Aufenthaltsortbestimmungsrecht des Vaters verletzt worden sei. Zudem rügte es das Obergericht, weil es das Recht willkürlich angewendet habe, indem es einen der Hauptpunkte der kürzlichen Sorgerechtsrevision verkannt habe. Das Bundesgericht erklärte, mit der Gesetzesrevision sei beabsichtigt gewesen, das Aufenthaltsortbestimmungsrecht von der Frage der Obhut zu lösen. Nach Meinung des Bundesgerichts habe das Obergericht von der Zuteilung der alleinigen Obhut an die Mutter zu Unrecht auf eine Genehmigung des Aufenthaltsortes geschlossen.
(Nicht-)Umsetzbarkeit in der Praxis
Das Urteil mag auf den ersten Blick als aus Sicht des Vaters erfreulich erscheinen. Allerdings ist es auf den zweiten Blick ein Erfolg lediglich auf dem Papier. Das Bundesgericht stellte nämlich auch klar, dass es bei der Verlegung des Aufenthaltsortes ohne Zustimmung des anderen Elternteils keine direkte zivilrechtliche Sanktionsmöglichkeit gebe. Eine indirekte Sanktion wäre zwar im Rahmen der Neuzuteilung der Obhut an sich umsetzbar, dies stand jedoch in der zu entscheidenden Konstellation nicht zur Diskussion. Die Möglichkeit, eine Massnahme gestützt auf Art. 307 Abs. 3 ZGB zu erlassen – dafür hatte sich die erste Instanz ausgesprochen – verneinte das Bundesgericht ebenfalls: Solche Kindesschutzmassnahmen seien nicht als Begleitinstrument zu Art. 301a ZGB gedacht, mit welchem sich ein Gebotsmissbrauch oder ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines sorgeberechtigten Elternteils sanktionieren liesse. Ausschliessliches Kriterium beim Erlass einer Kindesschutzmassnahme im Sinne von Art. 307 Abs. 3 ZGB sei die Gefährdung des Kindeswohls. Die Wegzugsautonomie der Eltern bleibe davon unberührt. Eine Gefährdung des Kindeswohles sei aber im zu entscheidenden Fall nicht erstellt, da die Auswirkungen des Umzuges primär in einer Erschwerung der Sorgerechtsausübung durch den Vater bestünden. Das geeignete Instrument, um der bei dieser Ausgangslage möglichen physischen und sprachlichen Entfremdung der Kinder vom Vater zu begegnen, sei eine Anpassung des Besuchsrechts. In diesem Punkte rügte das Bundesgericht die Vorinstanz wiederum. Das lapidare Abstellen und Verweisen auf die «Gerichtsüblichkeit» gehe in besonderen Situationen nicht an. Gerade in Wegzugsfällen ist es aus Sicht des Bundesgerichts willkürlich, nicht auf die Verhältnisse im Einzelfall abzustellen. Das Obergericht «durfte» sich deshalb nach der Rückweisung durch das Bundesgericht nochmals mit der Materie auseinandersetzen…