Gewährleistung beim Bauwerkvertrag – Tipps und Stolpersteine
Die Gewährleistungsrechte im Obligationenrecht und in der SIA-Norm 118 sind nicht deckungsgleich. Nachfolgend eine Übersicht zu den Gewährleistungsregeln.Autor: MLaw Severin GabathulerWenige Monate nach dem ersehnten Einzug ins neue Eigenheim folgt die Ernüchterung: Risse im Mauerwerk. Im Vertrag wurde eine zweijährige Rügefrist für Mängel abgemacht. Der Mangel wird vorbildlich innerhalb der zweijährigen Frist gerügt. Daraus folgt eine mehrjährige Diskussion mit dem Unternehmer. Und wenn sie dann endlich geklärt ist, muss man erfahren, dass die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Reicht die rechtzeitige Rüge etwa nicht? Diese und weitere Fragen stellen sich regelmässig im Umgang mit Baumängeln.
Ohne spezielle vertragliche Vereinbarung kommen die Regeln des Obligationenrechts zur Anwendung. Diese können aber ersetzt oder ergänzt werden. Auch die SIA-Norm 118 ist nur verbindlich, wenn sie zum Vertragsbestandteil erhoben wurde (BGE 118 II 295 E. 2). Die Unterscheidung zwischen Obligationenrecht und SIA-Norm 118 hat bei der Mängelrüge Auswirkungen auf die Rechtsfolgen.
Welche Ansprüche bestehen bei einem Mangel?
Ein (Bau-)Werk ist im rechtlichen Sinne mangelhaft, wenn eine bestimmte Eigenschaft fehlt, die es nach dem Vertrag haben sollte. Diese Abweichung bildet den Werkmangel (BSK OR I-ZINDEL/SCHOTT, Art. 368 N 9; Art. 166 Abs. 1 SIA-Norm 118).
Um gegen einen Werkmangel vorzugehen, sehen sowohl das Gesetz als auch die SIA-Norm 118 sogenannte Gewährleistungsrechte bzw. Mängelrechte vor. Unterschieden wird zwischen folgenden drei Gewährleistungsrechten: Wandelung, Minderung und Nachbesserung. Dabei besteht unter dem Regime des Obligationenrechts grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen diesen dreien. Die einzelnen Ansprüche sind aber an gewisse Voraussetzungen geknüpft. Die Wandelung, d.h. die Rückabwicklung des Vertrags, ist nur bei besonders schwerwiegenden Mängeln möglich (Art. 368 Abs. 1 u. 3 OR).
Das Minderungsrecht hingegen ist auf jene Fälle ausgerichtet, in welchen die Werkmängel minder erheblich sind. Die Minderung bedeutet eine Reduktion des Preises. Bei minder erheblichen Mängeln kann der Besteller sodann auch eine unentgeltliche Verbesserung des Werks verlangen, sofern dies nicht übermässige Kosten verursacht (Art. 368 Abs. 2 OR). Wichtig ist in dieser Hinsicht den Unterschied zwischen OR und SIA-Norm 118 zu beachten: Bei den Gewährleistungsrechten nach SIA besteht zuerst einzig das Recht auf Nachbesserung. Hierzu muss die Bauherrschaft eine angemessene Frist setzen. Erst wenn die Mängel nicht innert der Frist nachgebessert worden sind, stehen der Bauherrschaft alle weiteren Gewährleistungsrechte offen (Art. 169 SIA-Norm 118).
Sowohl nach OR als auch nach SIA besteht zudem die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Dafür ist aber ein Verschulden seitens des Unternehmers nötig (Art. 368 Abs. 1 u. 2 OR; Art. 171 SIA-Norm 118). Möglich ist die Vereinbarung einer Freizeichnung von der Gewährleistungspflicht (Wegbedingung). Darauf ist beim Abschluss eines vorformulierten Werkvertrags ein Augenmerk zu richten.
Wie ist vorzugehen, um einen Mangel erfolgreich geltend zu machen?
Zunächst sollten Mängel möglichst genau dokumentiert, d.h. protokolliert und fotografiert, werden. In einem nächsten Schritt ist die Rügefrist einzuhalten (dazu sogleich). Bei der Formulierung der Rüge ist zu beachten, dass der Mangel hinreichend genau beschrieben werden muss.
Ist der bzw. sind die bestehenden Mängel rechtsgenüglich gerügt worden, gilt es für die Bauherrschaft zu entscheiden, welche Ansprüche sie geltend machen will (bei Anwendbarkeit der SIA-Norm 118 muss zuerst eine Nachbesserung verlangt werden; Art. 169 Abs. 1 SIA-Norm 118). In der Mängelrüge muss dies noch nicht angegeben werden (BSK OR I-ZINDEL/SCHOTT, Art. 367 N 19; GAUCH/STÖCKLI, Kommentar zur SIA-Norm 118, 2. Aufl. 2017, Art. 173 N 5). Bestreitet die Unternehmerin die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche oder verweigert sie deren Vollzug, sind die Forderungen auf dem Gerichtsweg durchzusetzen. Vor einem Gang ans Gericht empfiehlt sich, die Möglichkeiten eines Vergleichs auszuloten.
Welche Fristen müssen eingehalten werden?
Die Rügefrist ist die Frist, innert welcher ein Bauherr Mängel beim Unternehmer beanstanden kann. Sie ist die kürzeste Frist. Die Rüge muss bei Anwendbarkeit des Obligationenrechts sofort nach Entdeckung des Mangels erfolgen (Art. 367 Abs. 1 u. Art. 370 Abs. 3 OR). Sofort bedeutet nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung innert 7 Tagen (BGE 118 II 142 E. 3b). Die Rügefrist beginnt dabei erst dann zu laufen, wenn Klarheit über die Mangelhaftigkeit besteht (GAUCH, Der Werkvertrag, 6. Aufl. 2019, Rz. 2182; GAUCH/STÖCKLI, Art. 173 N 6.2).
Nach der Ablieferung obliegt dem Besteller eine zeitnahe Prüfung des Werks (Art. 367 Abs. 1 OR), weshalb er sich bezüglich erkennbarer Mängel später nicht auf den Standpunkt stellen kann, dass er den Mangel zuvor nicht entdeckt habe. Gelangt hingegen die SIA-Norm 118 zur Anwendung, dann beträgt die Rügefrist 2 Jahre ab dem Abnahmetermin.
Erst später zu Tage tretende Mängel, sogenannte verdeckte Mängel, sind sofort nach ihrer Entdeckung zu rügen (Art. 179 Abs. 2 SIA-Norm 118). Sowohl nach OR als auch nach SIA-Norm 118 gilt: Als «verdeckt» gelten Mängel nur, wenn sie bei der Abnahme weder offensichtlich noch bei Prüfung erkennbar waren (BSK OR I-ZINDEL/SCHOTT, Art. 370 N 6; GAUCH/STÖCKLI, Art. 173 N 3).
Als Verjährungsfrist wird die Frist bezeichnet, innert welcher aufgrund der gerügten Mängel prozessual Ansprüche geltend gemacht werden können. Bei Bauten beträgt die Verjährungsfrist 5 Jahre seit der Abnahme (Art. 371 Abs. 2 OR; Art. 180 Abs. 1 SIA-Norm 118). Hat der Unternehmer Mängel absichtlich verschwiegen, verjähren die diesbezüglichen Mängelrechte hingegen erst in 10 Jahren (Art. 180 Abs. 2 SIA-Norm 118; GAUCH, Rz. 2275a. In diesem Fall gilt auch die Rügefrist nicht; Art. 370 Abs. 1 OR; vgl. GAUCH/STÖCKLI, Art. 178 N 4).
Im Prozess unterscheidet sich die Beweislastverteilung nach der SIA-Norm 118 von derjenigen gemäss Gesetz: Bei Mängeln, die vor Ablauf der zweijährigen Rügefrist geltend gemacht werden, liegt die Beweislast beim Unternehmer. Er hat zu beweisen, dass das Werk vertragskonform und daher mängelfrei ist. Bei Mängeln, die nach Ablauf der zweijährigen Rügefrist geltend gemacht werden, liegt die Beweislast analog der gesetzlichen Regelung bei der Bauherrschaft (Art. 174 Abs. 3 SIA-Norm 118; Art. 179 Abs. 5 SIA-Norm 118; Art. 8 ZGB).
Revision Werkvertragsrecht
Im Obligationenrecht ist eine Revision geplant, welche auch das Werkvertragsrecht betrifft. Gemäss aktuellem Entwurf soll die Rügefrist für offene und verdeckte Mängel bei unbeweglichen Werken neu 60 Tage ab ihrer Entdeckung betragen. Dies würde gegenüber der bisherigen Regelung eine deutliche Verlängerung bedeuten. Die neue Rügefrist soll aber dispositiv sein, so dass die Vertragsparteien davon abweichen können. Auch nach Inkrafttreten der Revision ist deshalb Vorsicht geboten. Im Zuge der Revision soll zudem die Situation privater Bauherrschaften verbessert werden: Bei Bauten, die dem persönlichen oder familiären Zweck dienen, soll das Nachbesserungsrecht zukünftig nicht mehr eingeschränkt oder ausgeschlossen werden können.